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Unfruchtbar – Paardynamiken beim unerfüllten Kinderwunsch

Der Wunsch nach einem Kind ist in vielen von uns tief verankert. Doch was passiert, wenn dieser Traum nicht in Erfüllung geht? Wenn Monate und Jahre ins Land gehen, unzählige Versuche scheitern und der Kinderwunsch mehr und mehr zu einer schmerzhaften Belastung wird?

Viele Paare, die es mit einer eingeschränkten Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit zu tun haben, sind irgendwann mit der Frage danach konfrontiert, wann der richtige Zeitpunkt ist, den Weg der medizinischen Fruchtbarkeitsbehandlung zu beenden oder zu unterbrechen. In meiner Arbeit mit Paaren erlebe ich häufig, wie herausfordernd und emotional dieser Prozess ist und wie wichtig es ist, diesen achtsam zu begleiten.

Im Folgenden möchte ich typische Dynamiken und Herausforderungen aufzeigen, die Paare während ihrer Kinderwunschreise erleben, und Impulse geben, wie man als Paar gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen kann.

“Du bist zu gestresst” und andere Reaktionen des Umfelds

Die meisten Menschen gehen einen Großteil ihres Lebens davon aus, dass sie “natürlich” schwanger werden und Kinder bekommen können, wenn sie es wollen. Paare, bei denen es einfach nicht klappen will, erleben diese unerwartete Situation als eine tiefe emotionale Krise. Es entstehen quälende Fragen, wie “Eigentlich müsste es doch funktionieren, warum klappt es nicht?” oder “Warum funktioniert mein Körper nicht richtig?”.

Dieser innere Konflikt wird leider zusätzlich vom sozialen Umfeld durch Äußerungen wie “Du bist bestimmt zu gestresst” oder “Vielleicht willst du es einfach zu sehr” verstärkt. Solche Aussagen können tief verletzend sein, da sie das Leid des Paares herabsetzen und die Zusammenhänge simplifizieren. Besonders schmerzhaft können auch ungefragte Lösungsvorschläge sein, wie “Ihr könnte ja adoptieren”, da sie das Thema auf eine pragmatische Ebene herunterbrechen, ohne die emotionalen Bedürfnisse des Paares zu beachten. Solche Äußerungen führen oft dazu, dass sich Paare noch mehr zurückziehen. In der Praxis erlebe ich, dass die Betroffenen vor allem eins brauchen: Verständnis und emotionale Unterstützung – ganz ohne vorschnelle Lösungen und Bagatellisierung.

Die Rolle der Kinderwunschkliniken

Kinderwunschkliniken bieten vielen Paaren die Hoffnung, die sie dringend benötigen. Die Externalisierung, also Verlagerung der eigenen Belastungen nach außen, kann eine enorme Entlastung darstellen. Gleichzeitig kann diese Entlastung sich nach einiger Zeit wieder in eine Last verwandeln, vor allem, wenn es nach zahlreichen Versuchen immer noch nicht klappen will.

Jede Kinderwunschbehandlung bringt zusätzlich zur körperlichen Belastung der Frau, eine persönliche Bewertung mit sich. Ethische Fragen können bei manchen Paaren eine große Rolle spielen. Und auch der finanzielle Aspekt ist nicht zu unterschätzen – nicht alle Paare können sich endlose Behandlungen leisten, was den Druck, schnell Erfolge zu sehen, zusätzlich verstärkt. Zudem kommt oft mit jedem gescheiterten Versuch eine neue Diagnose hinzu. Paare werden monatelang und wiederholt mit Informationen darüber, was nicht funktioniert, konfrontiert. Auch das kann zu einer großen psychischen Belastung und Gefühlen von Minderwertigkeit führen. Es wird immer schwieriger, sich in dem “Diagnosedschungel” nicht zu verlieren und den Fokus auf das eigene Wohlbefinden zu legen.

Funktionale Sexualität: Wenn der Druck die Intimität zerstört

Paare, die sich in einer langen Kinderwunschphase befinden, kennen das Problem nur zu gut: Sex wird zunehmend zu einem funktionalen Akt, der mehr mit dem Nutzen des nächsten Eisprungs als mit Liebe und Intimität zu tun hat. Die Freude und Leichtigkeit, die zu Beginn des Kinderwunsches vielleicht noch vorhanden war, weicht oft einem strengen Zeitplan und einem inneren Druck, der beiden Partnern die Lust raubt und die Partnerschaft belastet.

Besonders belastend wird es, wenn der Mann “funktionieren” muss, selbst wenn der Druck für ihn zu viel wird. Dies führt zu weiterem Frust, Distanz und Missverständnissen. Viele Paare stellen fest, dass sie nach Jahren des funktionalen Sex keinen Zugang mehr zu ihrer Sexualität finden. Der Weg zurück zu einer liebevollen, freien Sexualität ist nicht einfach und bedarf oft Zeit und Raum für Heilung.

Der unerfüllte Kinderwunsch als lebenslanges Thema

Auch wenn Paare entscheiden, den Kinderwunsch loszulassen, bleibt die Sehnsucht häufig ein lebenslanger Begleiter. Situationen wie der Verlust der eigenen Eltern oder die Schwangerschaft von Freundinnen, können alte Wunden immer wieder aufreißen und schmerzhaft in Erinnerung rufen. Deshalb ist es wichtig, schon früh darüber zu sprechen, dass der unerfüllte Kinderwunsch nicht nur ein temporäres Problem ist, sondern ein Lebensthema, das immer wieder auftauchen kann.

In der Regel können Menschen mit schmerzhaften Momenten, die sie erwarten und auf die sie vorbereitet sind, besser umgehen, als mit plötzlichen Schicksalsschlägen. Daher kann es sinnvoll sein, dass Paare sich darauf vorbereiten, dass der Schmerz wiederkehren kann. Die Entwicklung eines gemeinsamen Bewusstseins darüber kann zudem die Beziehung zueinander stärken und dabei helfen, mit den aktuellen und den kommenden Herausforderungen besser umzugehen.

Wie eine Paarberatung bei unerfülltem Kinderwunsch helfen kann

Unabhängig davon, ob die Kinderwunschreise eines Paares erfolgreich oder nicht war, kann diese Zeit für die Paarbeziehung eine enorme Belastung darstellen, von der sie sich erstmal erholen muss. Oft können Paare hier von einer kompetenten Begleitung einer Paartherapeutin / eines Paartherapeuten, der bzw. die in diesem Thema geschult ist, in ihrer Heilung sehr profitieren. Folgende Fragen oder Ansätze werden häufig in solchen Sitzungen besprochen:

  1. Der Ursprung des Kinderwunsches
    Eine Frage, die sich Paare oft nicht bewusst stellen, ist: Woher kommt eigentlich unser Kinderwunsch? Was erhoffen wir uns davon?
    Oft folgen Menschen unbewusst einem “Skript”, welches die Gesellschaft als “normal” vermittelt: Heirat, Kinder, Familie. Doch worum geht es deinen einzelnen Personen wirklich? Es kann sich lohnen, diese Frage zu reflektieren, um herauszufinden, ob der Wunsch nach einem Kind wirklich aus einem inneren Bedürfnis entspringt oder eher dem gesellschaftlichen Druck folgt. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage kann zudem alternative Lebenskonzepte aufdecken, die das Loslassen erleichtern und eine neue, lebenswerte Perspektive auftun.
  2. Wer bin ich, wenn ich keine Mutter / kein Vater sein kann?
    Es kann hilfreich sein, sich anzuschauen, wie sich die Kinderwunschreise auf die eigenen Identitäten ausgewirkt hat und immer noch auswirkt: Was ist mit der Ich-Ebene, der Paar-Ebene und der Eltern-Ebene? Viele Paare haben sich jahrelang so sehr mit ihrem Kinderwunsch auseinandergesetzt, dass die beiden ersten Ebenen fast vollständig in den Hintergrund getreten sind. Mit dem Beenden einer erfolglosen Kinderwunschbehandlung, verlieren viele Paare gefühlt auch noch die Eltern-Ebene, sodass sich danach die Frage auftut, wer sie eigentlich sind, wenn sie nicht mehr versuchen, schwanger zu werden.
    Manche Paare erleben es in der Paarberatung zudem als hilfreich, sich nach einer Fehlgeburt bereits als Eltern zu sehen, indem sie zum Beispiel für sich erkennen: “Wir waren Eltern, auch wenn es nur für eine kurze Zeit war”. Dieser Gedanke kann für manche sehr berührend und heilsam sein.
  3. Lernen, das eigene Leben bewusst zu gestalten
    In der paartherapeutischen Begleitung lege ich großen Wert darauf, Paare dabei zu unterstützen, eine “Gestaltungskompetenz” (Nele Sehrt) zu entwickeln. Hierbei geht es darum zu lernen, das eigene Leben bewusst so zu gestalten, dass man sich trotz unerfülltem Kinderwunsch langfristig wohl fühlt. Es gibt hierbei nicht den einen Weg – Weiterkämpfen oder Loslassen – beides kann je nach Situation und Paar richtig sein. Wichtig ist, dass man lernt, das Leben aktiv zu gestalten und unabhängig vom Ausgang zu einem inneren Wohlbefinden zu finden.

Fazit

Ein unerfüllter Kinderwunsch oder eine zermürbend lange Kinderwunschreise gehören zu den emotional und psychisch belastendsten Herausforderungen, denen sich Paare stellen müssen. Doch es kann auch eine Chance sein, sich als Paar neu zu entdecken, gestärkt aus dieser Phase hervorzugehen und das Leben bewusst gemeinsam zu gestalten – mit oder ohne Kind. Scheuen Sie sich nicht, sich hierfür professionelle Unterstützung in Form einer Paarberatung oder psychotherapeutischen Einzelberatung zu holen.

Hinweis: Der Inhalt dieses Textes basiert an einigen Stellen auf der Weiterbildung “Kinderwunsch und Kinderlosigkeit in der Paartherapie”, welche am IGST Heidelberg von Dipl.- Psych. Nele Sehrt geleitet wurde.

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