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Emotionale Abhängigkeit – in 4 Schritten raus aus dem People Pleasing

In meiner Tätigkeit als Paartherapeutin begegne ich häufig Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich von ihrer Ursprungsfamilie oder ihrem Partner abzugrenzen. Sie befinden sich in einer chronischen emotionalen Abhängigkeit – abhängig von den Erwartungen, Urteilen und dem Wohlwollen anderer. Dieses innere Wechselbad der Gefühle, geprägt von Schuld, Anspannung und Wut, führt zu einem ständigen Hin- und Hergerissensein, das auf Dauer erschöpfend ist und viel Kraft kostet.

Wenn du dich in dieser Beschreibung wiedererkennst, ist dieser Leitfaden für dich. Er zeigt vier Schritte auf, die dir helfen können, dein Leben nach deinen eigenen Werten und Bedürfnissen zu gestalten.

Schritt 1: Dein “falsches Selbst” entlarven

Der erste Schritt besteht darin, dein sogenanntes „falsches Selbst“ zu erkennen und zu verstehen. Dieser Teil deiner Identität hat sich entwickelt, um anderen zu gefallen, Konflikte zu vermeiden oder in deiner Familie nicht negativ aufzufallen. Dieser Teil war einmal funktional und gut für dich – heute hält er dich aber in einer emotionalen Abhängigkeit.

Das falsche Selbst setzt sich zusammen aus:

  • Glaubenssätzen, z.B. “Ich muss mich anpassen, um geliebt zu werden.”
  • Emotionalen Reaktionsmustern, z.B. unmittelbare Schuldgefühle, wenn ich Nein sage
  • Automatisierten Verhaltensweisen, z.B. automatisches Ja-Sagen, ohne darüber nachzudenken

Die größte Herausforderung bei der Entlarvung liegt darin, dass sich diese Reaktionen, Denkweisen und Glaubenssätze vollkommen normal anfühlen und als echter Bestandteil deiner Persönlichkeit erscheinen. In Wirklichkeit sind sie jedoch oft konditionierte Reaktionen. Der erste Schritt zu einem selbstbestimmten Leben ist daher, diese fremdbestimmten Aspekte deines Ichs zu identifizieren.

Beispiel: Wenn du Ja sagst, obwohl du Nein fühlst

Körperliche Reaktion

Stell dir vor, dein Partner bittet dich, das Wochenende mit seinen Eltern zu verbringen. Doch du hattest dich eigentlich darauf gefreut, endlich Zeit für dich zu haben – auszuruhen, nach einer anstrengenden Woche durchzuatmen. Trotzdem hörst du dich sagen: „Ja, klar, machen wir.“ Dabei spürst du sofort eine innere Anspannung.

Konditioniertes Gefühl

Dieses Gefühl der Anspannung oder sogar Angst, ist ein gutes Beispiel für ein konditioniertes Gefühl – ein Gefühl, das dein falsches Selbst produziert, um dich zu schützen. Vielleicht hast du irgendwann in deinem Leben gelernt, dass es gefährlich sein könnte, für deine eigenen Bedürfnisse einzustehen. Vielleicht hast du erlebt, dass Widerspruch zu Konflikten führt oder dass du auf Ablehnung stößt, wenn du dich nicht angepasst.

Glaubenssatz

Dein falsches Selbst sorgt in dieser Situation dafür, dass du dich (gegen deinen eigenen Willen) fügst, um diesen vermeintlichen Schutz aufrechtzuerhalten. Doch was passiert langfristig? Jedes Mal, wenn du dich anpasst, anstatt ehrlich zu sagen, was du brauchst, verstärkst du unbewusst ein Muster bzw. Glaubenssatz.

Zum Beispiel: „Ich muss mich fügen, um geliebt und akzeptiert zu werden.“ Und genau das hält dich in der emotionalen Abhängigkeit gefangen.

Schritt 2: Objektivität von außen einholen

Wenn du in den automatisierten Denkmustern deines falschen Selbst gefangen bist, kann es schwer sein, eine Situation wirklich objektiv zu betrachten. Dein inneres System läuft nach alten, erlernten Regeln ab – Regeln, die dich auf Anpassung, Harmonie und Selbstaufgabe konditioniert haben. Eine emotionale Abhängigkeit zeigt sich genau hier: Manche Entscheidungen oder Reaktionen wirken alternativlos: „Ich kann doch nicht einfach Nein sagen.“ oder „Wenn ich das tue, wird er/sie verletzt sein, also muss ich mich fügen.“

Objektivität von außen “leihen”

Weil es so schwer ist, in diesen Momenten eine klare, realistische Sichtweise zu haben, kann es helfen, sich Objektivität von außen zu „leihen“. Eine wirkungsvolle Methode ist es, sich vorzustellen, wie eine kluge, reflektierte Person in dieser Situation handeln würde.

Wie das genau geht, siehst du im nächsten Beispiel:

Imaginationsübung

Stell dir noch einmal die obige Situation mit deinem Partner vor. Du hast eigentlich das Bedürfnis nach Zeit für dich, aber dein falsches Selbst reagiert mit Schuldgefühlen und Anpassung. Jetzt schalte einen Moment auf eine neutrale Perspektive um. Denk an eine Person, die du für souverän, selbstbewusst und klar hältst – vielleicht eine gute Freundin, einen Therapeuten oder eine bewunderte Persönlichkeit. Stell dir vor, diese Person wäre in deiner Situation. Wie würde sie reagieren? 

  • Wie würde sie die Situation betrachten? Würde sie sich dem Gegenüber verpflichtet fühlen oder ihr eigenes Bedürfnis als genauso wichtig ansehen? 
  • Wie würde sie auf die Anfrage reagieren? Würde sie sich diplomatisch, aber bestimmt abgrenzen? 
  • Welche Worte würde sie nutzen, um Nein zu sagen, ohne Schuldgefühle zu haben?

Jetzt geh einen Schritt weiter: Sei für einen Moment diese Person. Stell dir vor, du sitzt in ihrem Körper, sprichst mit ihrer Stimme, fühlst ihre Selbstsicherheit. Was würdest du in diesem Zustand sagen? Vielleicht etwas wie: „Ich weiß, dass dir das wichtig ist, aber ich brauche dieses Wochenende für mich. Vielleicht finden wir eine andere Möglichkeit, uns bald zu treffen.“

Schritt 3: Schrittweise bessere Selbstwahrnehmung entwickeln

Der Prozess der Selbsterkenntnis ist kein plötzlicher Durchbruch, sondern eine schrittweise Entwicklung. Es geht darum, langsam und behutsam herauszufinden, wer du bist, wenn du nicht mehr aus den Automatismen und Konditionierungen deines falschen Selbst heraus handelst. Dabei ist es wichtig, Geduld mit dir selbst zu haben – denn jede neue Erkenntnis über dich und jede Verhaltensänderung muss erst einmal in dein Leben integriert werden.

Gerade, wenn du unter einer emotionalen Abhängigkeit leidest, kann dieser Schritt herausfordernd sein. Vielleicht kannst du nicht sofort eine klare Grenze setzen oder dein Verhalten radikal ändern – und das ist völlig in Ordnung. Veränderung geschieht in kleinen Schritten, die du nach und nach ausbauen kannst.

Beispiel: Kleine Schritte zur Veränderung

Erinnern wir uns an das Beispiel mit dem Wochenende bei den Eltern deines Partners. Bisher hast du automatisch zugesagt, obwohl du eigentlich Zeit für dich gebraucht hättest. Statt sofort eine harte Grenze zu ziehen und direkt abzusagen, könntest du als ersten kleinen Schritt versuchen, deine Reaktion etwas zu verändern.

Erster kleiner Schritt:

Statt impulsiv „Ja“ zu sagen, könntest du dir angewöhnen, erst einmal eine Pause einzulegen: „Ich überlege es mir und sage dir später Bescheid.“ So gibst du dir selbst Zeit, bewusst nachzuspüren, was du eigentlich möchtest.

Zweiter kleiner Schritt:

Ein weiterer kleiner Schritt könnte sein, eine alternative Lösung vorzuschlagen: „Ich brauche das Wochenende für mich, aber wie wäre es, wenn wir nächsten Samstag mit deinen Eltern essen gehen?“ Auf diese Weise beginnst du, dich abzugrenzen, ohne dich gleich völlig überfordert zu fühlen.

Es geht nicht darum, von heute auf morgen alle Grenzen perfekt zu setzen. Es geht vielmehr darum, bewusster wahrzunehmen, was du willst, und in kleinen Schritten danach zu handeln.

Hilfreiche Fragen für dich:

Fragen, die dir helfen können, ein besseres Gefühl für dich selbst und deine Bedürfnisse zu entwickeln, sind zum Beispiel:

  • Wenn niemand sich um meine Entscheidung kümmern würde – was würde ich wirklich tun?
  • Welche Grenzen würde ich setzen, wenn es keinen äußeren Druck gäbe?
  • Was würde ich tun, wenn ich keine Angst / keine Schuldgefühle spüren würde?

Jede bewusste Entscheidung, die du triffst – sei sie noch so klein – bringt dich näher zu deinem echten Selbst. Und je öfter du diesen Prozess durchläufst, desto leichter wird es, dich selbst zu erkennen und für deine Bedürfnisse einzustehen. Selbstbewusstsein zu entwickeln ist ein Prozess, der Zeit braucht. Es geht darum, eigene Überzeugungen, wahre Gefühle von konditionierten Gefühlen und automatisierten Verhaltensweisen zu unterscheiden.

Schritt 4: Die negativen Gefühle des Anderen aushalten lernen

Sich aus der emotionalen Abhängigkeit zu lösen, bedeutet nicht nur, neue Grenzen zu setzen – es bedeutet auch, auszuhalten, was passiert, wenn du sie setzt. Denn sobald du beginnst, dich weniger anzupassen, wirst du zwangsläufig mit den Reaktionen des Anderen konfrontiert. Und genau hier liegt oft die größte Herausforderung.

Was du bereits gut kannst, ist “Gedankenlesen”

Wenn du es gewohnt bist, dich stark an andere anzupassen, dann hast du wahrscheinlich eine sehr ausgeprägte Fähigkeit, dein Gegenüber zu „lesen“. Du kannst kleinste Veränderungen in Mimik, Tonfall oder Stimmung wahrnehmen und sie instinktiv deuten. Vielleicht hast du gelernt, schon im Voraus zu erspüren, was der Andere brauchen könnte – und es dann bereitzustellen, noch bevor er es überhaupt ausgesprochen hat. Dieses Verhalten gibt dir das Gefühl von Sicherheit in der Beziehung: Solange der Andere zufrieden ist, ist alles gut.

Was du noch besser lernen kannst:

Was du hingegen vielleicht noch nicht gut kannst, ist es die negativen Emotionen des Anderen aushalten, wenn du nicht tust, was er oder sie sich wünscht. Ein trauriger Blick, ein genervtes Seufzen oder ein enttäuschtes „Ach so…“ – all das kann in dir sofort Alarm auslösen. Dein System meldet Gefahr: „Ich habe etwas falsch gemacht!“, „Jetzt ist er/sie unzufrieden mit mir!“, „Vielleicht liebt er/sie mich weniger!“.

Und um dieses unangenehme Gefühl sofort zu beenden, greift dein Automatismus: Du gibst nach, du erklärst dich, du versuchst die Situation zu „retten“ – oft auf Kosten deiner eigenen Bedürfnisse.

Doch genau hier liegt der Schlüssel zur Veränderung: Deine Fähigkeit zu stärken, die negativen Gefühle des Anderen auszuhalten.

Warum ist das wichtig?

Weil du nur dann lernst, wirklich für dich einzustehen, wenn du übst den Frust, Enttäuschung oder Unzufriedenheit deines Gegenübers nicht mehr als bedrohliche Gefahr wahrzunehmen. Nur wenn du durch eine gelebte Praxis lernst, dass die Beziehung es aushalten kann, wenn du nicht immer alle Erwartungen erfüllst, versetzt du dich in die Lage auch mal “Nein” sagen zu können. Es erfordert Übung, Übung und nochmal Übung, deinem inneren System folgende drei Dinge beizubringen:

  1. Negative Gefühle sind ungefährlich.
  2. Sie sind einfach nur da.
  3. Sie gehen auch wieder vorbei.

Deine Beziehungsperson hat ein Recht auf ihre negativen Gefühle

Das bedeutet nicht, dass du absichtlich Dinge tun sollst, die deine geliebte Person verletzen. Es bedeutet vielmehr, dass du anerkennst: “Jeder Mensch hat das Recht auf ihre / seine eigenen Gefühle – und das schließt auch Enttäuschung oder Frust mit ein. Genauso wie du lernen darfst, für dich einzustehen, darf dein Gegenüber seine / ihre Emotionen haben.”

Fazit: Wie du beim nächsten Mal vorgehen kannst

Erinnern wir uns noch einmal an das Beispiel mit dem Wochenende bei den Eltern deines Partners. Du hast dich entschlossen, ehrlich zu sagen, dass du Zeit für dich brauchst. Doch kaum hast du die Worte ausgesprochen, siehst du, dass dein Partner enttäuscht ist. Vielleicht wirkt er kurz abweisend oder sagt etwas wie: „Schade, ich hatte mich darauf gefreut.“

Sofort spürst du in dir den Impuls, deine Entscheidung zurückzunehmen oder dich zu rechtfertigen.

Stattdessen kannst du nun einen neuen Weg ausprobieren:

  • Atme kurz durch.
  • Erkenne an, dass sein/ihr Gefühl in Ordnung ist.
  • Widerstehe bewusst dem Drang, es sofort „wieder gut zu machen“.

Du kannst ruhig und wertschätzend bleiben: „Ich verstehe, dass du enttäuscht bist. Es bedeutet mir trotzdem viel, dieses Wochenende für mich zu haben.“

Allein dieser Moment des bewussten Aushaltens verändert etwas in dir. Es zeigt dir: Ich kann bei mir bleiben, auch wenn der Andere es anders gern hätte.

Und mit jeder dieser Erfahrungen wächst dein Vertrauen – in dich selbst und in deine Beziehung.

Kennst du auch diesen inneren Druck es anderen Menschen rechtzumachen? Dann schreibe in die Kommentare!

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